Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen

Am heutigen Sonntag empfehle ich den Gottesdienst zur Jahreslosung 2022 aus der Matthäus-Kirche in München mit Liedern von Leonhard Cohen und der Predigt von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

Jesus Christus spricht:
Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.

Joh 6,37

Und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit

Ein Kind war uns geboren
und noch ein Kind
und noch ein Kind
vieles geschah in diesen Tagen
viel wurde geboren und
viel wurde gestorben

Dann aber sah man:
dass das Wort Fleisch geworden ist
dass das Licht in die Welt gekommen ist

Dann aber hoffte man:
auf Gnade
auf Wahrheit

Und schließlich glaubt man:
an Gottes Zelt in dieser Welt
an Gottes helles Licht in dieser Welt

Und heute fragt man:
wo ist dieses Zelt
wo ist dieses Licht

in dieser Welt

Und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.

Joh 1,14b

Von guten Mächten wunderbar geborgen, Teil 1

Geht es zum Jahresende hin, so gibt es ein Lied, das in den Altjahresgottesdiensten wohl immer gespielt und gesungen wird: „Von guten Mächten“. Heute und morgen will ich mit Gedanken zu diesem Gedicht Dietrich Bonhoeffers meine „Gedanken zum Wochenspruch“ in diesem Jahr ausklingen lassen. Hören wir uns zuerst einmal das Lied an:

„Von guten Mächten“ ist ein Lied, das nachdenklich und fürsorglich zugleich wirkt. Es ist ein Lied, das man meiner Meinung nach nicht mit Pauken und Trompeten instrumentalisieren kann. Mit seiner einfachen, getragenen Melodie steht es für sich allein und kann am besten in die Stille hinein gesungen werden.

Ich empfand es als sehr bereichernd, auf youtube verschiedene Interpretationen anzuhören – ganz unterschiedlich wirkt der Text dann. Manchmal befremdlich, manchmal anrührend, manchmal auch fremd. Was er aber nicht verliert, ist seine leicht melancholische Stimmung und die Hoffnung, die dennoch durch sie hindurchscheint.

 

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Dietrich Bonhoeffer weiß, als er diese Zeilen schreibt, dass er allein in das neue Jahr gehen muss, denn er ist 1943 verhaftet worden und sitzt im Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße. Er hat dieses Gedicht nicht für sich geschrieben, sondern für die Menschen, die an ihn denken und an die er denkt. Geschickt hat er es im Dezember 1944 als Weihnachtsgruß an seine Verlobte, Maria von Wedemeyer.

Die erste Strophe schwört die Verbindung zu seinen Freunden und Verwandten herauf: ich will mit euch leben, ich bin bei euch. Auch wenn ich jetzt im Gefängnis bin: wir feiern dennoch gemeinsam Silvester. Es ist kein lautes Silvester, es ist eines, das gegen den Kriegslärm und gegen die familiären Schicksale bestehen muss. Es ist ein Silvester, an dem man betonen muss, dass es noch „gute Mächte“ gibt und dass man sich diesen guten Mächten wie ein Kind anvertrauen kann. Die „guten Mächte“, die Engel Gottes, sind treu aber still – man könnte sie übersehen und erst recht überhören. Weiß man aber von ihrer Existenz, so können sie einen behüten und trösten. Wunderbar ist das, ein kleines Wunder ist das in dieser Zeit.

Wenn wir heute diese Zeilen lesen, gehen sie erst einmal gegen den Strom. Wir wünschen uns Glück für das neue Jahr, Gutes, Gesundheit. Aber Trost? Geborgenheit? Brauchen wir das? Wir sind hier im Tiefsten angesprochen. Bei dem, was wir nicht jedem erzählen. Bei dem, was wir vielleicht für uns behalten.

Ja, wir wollen behütet sein, wir wollen getröstet sein. Wir wollen fühlen, dass Gott bei uns ist. Ja, wir wollen uns wunderbar fühlen!

Folgt man dem Lied in Bonhoeffers Anordnung, so folgt nun die zweite Strophe. Siegfried Fietz hat die letzte Strophe des Gedichts zu einem Refrain umgewandelt und so das Lied mit einem roten Faden der Zuversicht und des Gottvertrauens versehen. Bei Bonhoeffer steht eher der Kontrast zwischen dem Guten, das man in einer schlechten, dunklen Welt erfahren kann, im Vordergrund. Es ist bei Bonhoeffer eher ein dramatischer Aufbau, an dessen Spitze, in der siebten und letzten Strophe, schließlich der Lobgesang auf das Vertrauen in Gott steht.

 

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Das alte Jahr ist noch nicht vorbei. Das alte Jahr mit seiner Dunkelheit hält „uns“ fest – sagt Bonhoeffer. Damit bezieht er seine Verwandten und Bekannten ein. Sein Bruder Klaus ist ebenso verhaftet, seine Zwillingsschwester ins Ausland geflüchtet, da sie einen jüdischen Ehemann hat. In der Familie Bonhoeffer hat das alte Jahr viele dunkle Schatten, die bedrückend sind. Von „böser Tage schwerer Last“ spricht Bonhoeffer.

Wenn wir dieses Lied heute singen, fragen wir uns, wo unsere „bösen“ Tage lagen. Was waren Ereignisse, die uns angegriffen haben – in unserem Selbstverständnis, in unserem Werteverständnis, in unserem Selbstvertrauen. „Noch“, sagt Bonhoeffer, noch drückt uns diese Last, aber wir müssen loslassen, wegstoßen was uns festhält.

Für Bonhoeffer kann das nur mit der Unterstützung Gottes gelingen. So endet die zweite Strophe mit einer Bitte. Er wendet sich an Gott, bittet ihn um „das Heil, für das du uns geschaffen hast“. Was ist gemeint? Der Zustand der „aufgeschreckten Seelen“, sagt Bonhoeffer, kann nicht der Normalzustand sein, kann nicht Gottes Wille sein. Der Mensch muss einem anderen Heilsplan folgen. Der Mensch ist nicht für die Dunkelheit geschaffen, sondern für das Licht, für das Heil. Der Mensch muss Schlechtes ertragen, aber er muss darin keinen Sinn sehen. Für Siegfried Fitz war das zuviel. Er formulierte in seiner Version des Liedes den Text kurzerhand um und spricht vom Heil, das uns „bereitet“ ist.

Und gerade weil Dietrich Bonhoeffer in seinem Leid keinen ursprünglichen Sinn sieht, sondern das Leiden vielmehr als bösen Angriff versteht, so kann er es von Gott annehmen:

 

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Wenn Bonhoeffer hier über das Leid spricht, dann bezieht er sich auf Jesu Gebet im Garten Gethsemane: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Dass es nicht  so zugeht, wie er es will, dessen ist sich Bonhoeffer zutiefst bewusst. Der Leidenskelch ist „gefüllt bis an den höchsten Rand“. An seinem Gottesbild ändert dies nichts. Betont spricht er vielmehr von der „guten und geliebten Hand“. Gott trägt keine Schuld an seinem Schicksal. Und dieses Schicksal ist nur deshalb hinnehmbar, weil Bonhoeffer weiß, dass Gott am Zustand der Welt leidet, die eigentlich Teil von Gottes Heilsplan ist. Dennoch will er das Leid „dankbar“ entgegennehmen. Es macht keinen Sinn, am Leid zu zerbrechen, da es nicht die eigentliche Berufung ausdrückt. So entsteht der Versuch, es fruchtbar zu machen, ihm irgendeine Bedeutung, irgendeine Erkenntnis abzutrotzen. Mit Jesus steht Bonhoeffer im Garten Gethsemane und harrt der Dinge, wartet, bis sich das Schlechte zum Guten wendet.

Leid ist nicht gut. Leid ist nicht notwendig. Aber es gehört zum Leben dazu. Und man kann es ertragen, wenn man weiß, dass es nicht nur den bis an den höchsten Rand gefüllten bitteren Kelch gibt, sondern auch das bis an den höchsten Rand (Bord) beladene Schiff voll Gnade (EG 8).  Im Abendmahl schließlich wird aus dem Kelch des Leids der Kelch des Heils.

 

 
 
 
Wochenspruch für Sonntag, 30.12.:
„Und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“
 
Joh 1,14b 

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