Jüngst habe ich sie wieder gesehen, als ich auf dem Weg zur Arbeit war: eine Herde Schafe.
Dicht aneinander standen sie da auf einer Wiese rechts neben der Bundesstraße. Als ich abends zurückfuhr, waren sie auf der anderen Seite der Straße.
Auch wenn ich keinen Hirten gesehen habe: er muss da gewesen sein, sonst wären die Schafe nicht über die Straße zu ihrem neuen Weideplatz gekommen.
Auch in der Kirche sind die Hirten heute oft unsichtbar. Nicht nur, aber vor allem in der katholischen Kirche mangelt es an Priestern. Gemeinden werden zu Seelsorge-Einheiten zusammengelegt, Kirchengemeinderäte ebenso. Diakone und Gemeindereferenten übernehmen eine Vielzahl an Gottesdiensten. In manchen Gemeinden lässt sich der Stellenwert der Ökumene auch daraus ableiten, ob die ökumenischen Gottesdienste mit oder ohne Priester stattfinden.
Unsichtbare Pfarrer gibt es aber auch in der evangelischen Kirche. Vor allem dann, wenn es bei der Neubesetzung von Pfarrstellen zu Vakanzzeiten kommt. Je nach Landeskirche kann es mittlerweile gut zwei Jahre dauern, bis eine Stelle wieder besetzt wird. Auch wenn die Gemeinde durch einen anderen Pfarrer betreut wird: vieles muss auch hier ohne Pfarrer organisiert werden.
Die unsichtbaren Hirten müssen nicht nur Nachteile haben. Natürlich bemerkt man das Fehlen eines Pfarrers, natürlich braucht es weiterhin einen Pfarrer, der die Verwaltung aufrecht erhält. Aber je eher man damit aufhört, alle Entscheidungen aufzuschieben, bis ein neuer Pfarrer kommt, umso besser ist es für die Gemeinde. Je eher man eine Gemeinde nicht als führungslos ansieht, die keinen Pfarrer hat, umso besser ist es.
Die Unsichtbarkeit von Pfarrern kann sich dann positiv auf das Gemeindeleben auswirken. Vieles muss einfach selbst in die Hand genommen werden, damit es weiterläuft. Vieles muss selbst organisiert werden, damit es weitergehen kann.
Wenn Ehrenamtliche sich hier einbringen, stärkt dies das Selbstbewusstsein der ganzen Gemeinde. Man hört auf darauf zu warten, was der Pfarrer will, dass der Pfarrer etwas Neues startet, man wird selbst aktiv und lässt Neues entstehen – und manchmal lässt man auch Überkommenes hinter sich.
Die unsichtbaren Pfarrer und Priester sind eine Chance für Gemeinden: sich selbst zu finden, jenseits von Ideenbörsen und Ähnlichem. Schweißt der unsichtbare Pfarrer die Gemeinde zusammen, dann bleibt, dann wird Gemeinde lebendig.
„Christus spricht: Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme,
und ich kenne sie und sie folgen mir;
und ich gebe ihnen das ewige Leben.“
Joh 10,11a.27
Bilder:
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