Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte

Fürchte Gott, Fürchtegott!

Ja, Fürchtegott, fürchte Gott.
Fürchte Gott, also: Verlass dich auf ihn!

Ja, fürchte Gott, Fürchtegott!
Also: Nimm dich nicht wichtiger als du bist.
Lerne, über dich selbst zu lachen.

Fürchtegott, so fürchte Gott!
Also: Lerne, dass du auch Fehler machst.
Lerne, dass du auch auf Vergebung und auf Verzeihen angewiesen bist.

Fürchte Gott, ach, Fürchtegott!
Also: Vertrau‘ darauf, dass deine Sünden dir vergeben sind.

Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.
Ps 130,4

Liebe Kinder, ich schreibe euch,
dass euch die Sünden vergeben sind
um seines Namens willen.
1 Joh 2,12

Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte

Ein kleines literarisches Gedankenspiel will ich meinen Lesern des Wochenspruchs heute zumuten. Hermann Hesses „Steppenwolf“ mit seiner Hauptfigur Harry Haller ist der Ausgangspunkt meines Schreibversuchs, der an das Buch anknüpft. 

Harry Haller wartete. Seit Tagen schon verließ er seine Mansarde nicht. Er bildete sich ein, dass es draußen regnete, dass es zu kalt sei, dass ihm womöglich nichts zustoßen könnte, kurzum dass er da draußen nicht mehr willkommen sei.

Nicht dass er sich in seinem Zimmer willkommen gefühlt hätte, seit das Tier in ihm geweckt war. Ach, würde ihm doch etwas zustoßen! Einfach erleben! Hineinstolpern und wieder glücklich werden wie zuvor.

Harry Haller verharrte stattdessen in seiner Lethargie. Wie sehr wünschte er sich, seine Vermieterin würde bei ihm anklopfen, aus Sorge um ihn. Aus Sorge, es könne etwas passiert sein. „Geht es Ihnen denn gut, Herr Haller?“, würde sie fragen. „Ich habe Sie ja so lange nicht gesehen, da macht man sich halt sorgen, dass etwas passiert sein könnte.“

Und wie viel war doch passiert! Und er – alles hatte er zunichte gemacht. Hermine, die ihm Anvertraute, sie kannte ihn so viel besser als er sich selbst. Von ihr hatte er sich hinters Licht führen lassen. Ihr Zauber war plötzlich verblasst und ihre Magie so stark, und in einem Moment der Schwäche verharrte er im bürgerlichen Glauben an die Ehe. Nur so konnte er Hermine töten. Er hatte sich von ihr so blenden lassen, war zur Marionette in ihrem Spiel geworden. Ein abscheuliches Spiel! So grausam und genial zugleich.

Es kränkte ihn zutiefst, dass sie ihn so sehr durchschaute, so sehr kannte, dass sie – nur sie – wissen konnte, wie er am magischen Theater scheitern würde. War es ihm denn jemals gelungen, sich über die Welt zu erheben, sich rauszuhalten aus ihren dumpfen Kämpfen, aus ihrem lauten Schweigen, es war ihm nicht gelungen, Humor zu haben. Er wünschte sich so sehr, das Lachen zu erlernen, das einem das Leben rettete. De profundis – am Boden zerstört, alles zerronnen. Er harrt, er wartet. Am liebsten würde er sich gar nicht mehr bewegen. Einfach dasitzen und alles geht weiter seinen Gang, niemand, der die Welt anhält, niemand, der den Zug zum Entgleisen bringt, niemand, der den Glockenschlag anhält, niemand, der die Schwingungen der Welt zum Ruhen bringt. Hätte Harry Haller nicht hin und wieder mit dem Kopf gewippt, man hätte in ihm gut und gerne einen meditierenden Mönch erkannt, der mit sich und der Welt im Reinen ist.

Doch weder glaubte Harry Haller weiter an eine Welt, noch war er mit sich im Reinen. Goethe, Mozart, seine unsterblichen Freunde waren so fern wie nie zuvor. Und doch spürte er, von mal zu mal, von Tag zu Tag, wie sehr sie ihm fehlten, und fühlte bittere Enttäuschung. Als ob sie ihn zurückließen, er sich allein aus dem Sumpf seiner Jahre herausziehen müsse. Wer kann bestehen ohne die Hoffnung, ohne das Wissen um mehr. Wer kann bestehen ohne an die Unsterblichkeit zu glauben.

Tausend unterschiedliche Gestalten in seiner Seele und doch wird aus Harry Haller kein neuer Mensch.

Wer kann bestehen ohne Vergebung? Wer lebt, auf sich allein gestellt?

 

Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte.
Psalm 130,4

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten