Du meine Seele singe

 

In vielen Kirchen wird heute wieder Gottesdienst gefeiert. Zumindest in verkürzter Form. Heute, am Sonntag Kantate, wird dabei auf den Gemeindegesang verzichtet. „Singet dem Herrn ein neues Lied“ heißt es im Wochenspruch. Und der Predigttext erzählt von der Einweihung des Tempels, wo die Musik der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele so beeindruckend war, dass die Priester, weil Gott selbst Wohnung im Tempel genommen hat, nicht ihren Dienst tun konnten.

Ausgerechnet an diesem Sonntag wird in den meisten Gemeinden die Musik allein der Orgel und dem CD-Player überlassen sein.

Warum ist der Gesang in der Kirche so wichtig, wo wir in Deutschland doch immer weniger singen?

Zunächst einmal, weil das Singen etwas anderes ist als hören und sprechen. Paul Gerhardt hat gedichtet:

Du meine Seele, singe, / wohlauf und singe schön /
Dem, welchem alle Dinge / zu Dienst und Willen stehn. /
Ich will den Herren droben / hier preisen auf der Erd; /
Ich will ihn herzlich loben, / solang ich leben werd.

Singen ist Lob, Lob Gottes. Beim Singen ist man näher beim Herz als beim Verstand. Und so ist Lob und Preis Gottes ganz unmittelbar. Die Seele singt – das heißt: der ganze Mensch singt. Singt von Herzen.

Dann: Singen zeigt Kraft und Stärke. Singen ist Bekennen, singen bringt Selbstsicherheit:

Wohl dem, der einzig schauet / nach Jakobs Gott und Heil! /
Wer dem sich anvertrauet, / der hat das beste Teil, /
Das höchste Gut erlesen, / den schönsten Schatz geliebt; /
Sein Herz und ganzes Wesen / bleibt ewig unbetrübt.

Wer singt, der kann das Vertrauen direkt spüren, weil er nicht alleine singt, sondern in Gemeinschaft mit anderen. Die Melodie ist vorgegeben, die Mitsängerinnen und Mitsänger weisen wenn nötig den Weg. Man ist Teil von etwas. Und ja, auch in der Melodie eines Liedes kann man den Trost, der versprochen ist, spüren.

Dann: Singen rührt an. Singen holt uns ab, wo wir auch stehen.

Hier sind die starken Kräfte, / die unerschöpfte Macht; /
Das weisen die Geschäfte, / die seine Hand gemacht: /
Der Himmel und die Erde / mit ihrem ganzen Heer, /
Der Fisch unzähl’ge Herde / im großen wilden Meer.

Paul Gerhardt verweist auf die Schöpfung. Das ist es, was ihn anrührt, was ihm Kraft und Stärke gibt. Was ihm Gottes Weisheit und Schönheit zeigt. Immer wieder weist er darauf hin. In seinem Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ macht Gerhardt daraus eine Anleitung gegen Trauer und Leid.

Dann: Liedtexte sind Glaubenstexte. Liedtexte spiegeln Erfahrungen des Glaubens, in die man sich als Sängerin und Sängerin hineinbegeben kann.

Hier sind die treuen Sinnen, / die niemand Unrecht tun, /
All denen Gutes gönnen, / die in der Treu beruhn. /
Gott hält sein Wort mit Freuden, / und was er spricht, geschicht; /
Und wer Gewalt muss leiden, / den schützt er im Gericht.

Dass Paul Gerhardt auch diese Strophe mit „Hier sind“ beginnt, ist kein Zufall. Er führt seinen Gedanken weiter. In der Schöpfung ist Gott zu finden, und in der Schöpfung kann man etwas vom Wesen Gottes erkennen: seine Güte, seine Treue, sein Schutz. Kurzum: auf Gott kann man vertrauen.

Dann: Singen ist Beten. Gesang ist ein Gebet. Ein Gebet, in dem sich vielleicht auch Hoffnung ausdrückt.

Er weiß viel tausend Weisen, / zu retten aus dem Tod, /
Ernährt und gibet Speisen / zur Zeit der Hungersnot, /
Macht schöne rote Wangen / oft bei geringem Mahl; /
Und die da sind gefangen, / die reißt er aus der Qual.

Er ist das Licht der Blinden, / erleuchtet ihr Gesicht, /
Und die sich schwach befinden, / die stellt er aufgericht‘. /
Er liebet alle Frommen, / und die ihm günstig sind, /
Die finden, wenn sie kommen, / an ihm den besten Freund.

Er ist der Fremden Hütte, / die Waisen nimmt er an, /
Erfüllt der Witwen Bitte, / wird selbst ihr Trost und Mann. /
Die aber, die ihn hassen, / bezahlet er mit Grimm, /
Ihr Haus und wo sie saßen, / das wirft er um und um.

Gottes Fürsorge zeigt sich in diesen Strophen, ein Gebet, das wie eine Beschreibung Gottes daherkommt. Wo wir heute bitten würden um Nahrung, um Kraft und Heilung, um Trost: da schreibt Paul Gerhardt als Wissender. Strophen, die deshalb heute häufig beim Gemeindegesang weggelassen werden. Ja, wie soll man denn die Hungernden in der Welt erklären, wenn Gott doch Speise gibt „zur Zeit der Hungersnot“? Nein, Paul Gerhardt hat nicht in Zeiten gelebt, in denen es kein Hunger gab. Paul Gerhardt hat den Dreißigjährigen Krieg 1618-1648 erlebt, er wusste vom Schrecken des Krieges, von der Not des Hungers, von Tod und Leid. Und doch: Gott ist „das Licht der Blinden“. Bei Gott ist nichts unmöglich. Und: Gott ist erfahrbar. Im Trost dieser Welt, im Blick auf diese Welt – allem Leid zum Trotz.

Dann: Singen relativiert den Blick von sich selbst aus auf sich selbst. Singen zeigt, dass man ganz auf Gott ausgerichtet ist.

Ach ich bin viel zu wenig, / zu rühmen seinen Ruhm; /
Der Herr allein ist König, / ich eine welke Blum. /
Jedoch weil ich gehöre / gen Zion in sein Zelt, /
Ist’s billig, dass ich mehre, / sein Lob vor aller Welt.

So angewiesen ich auch bin – angewiesen auf Hilfe, Unterstützung, Trost, Liebe, Schutz, Güte, weil ich selbst kein Gott bin – im Gesang kann ich Gott loben:

 

 

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Psalm 98,1 

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder

Wir brauchen
dein altes Lied nicht mehr
Wir brauchen
ein neues Lied ein andres Lied das brauchen wir

Ein andres Lied
wollen wir singen
von neuem an singen
die Augen schließen fühlen
Gedanken nachhängen bis sie von selbst verschwinden

Ich will
spüren was mir wichtig ist
spüren was wichtig ist atmen

 

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Ps 98,1

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