Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz

hands-3065641_1920Das Christentum ist eine Religion der Berührung. So hat es ein Schüler von mir in einer Klassenarbeit geschrieben. Eine Religion der Berührung? Stimmt das denn? Kann man das über das Christentum sagen?

Auf jeden Fall ist die Bibel ein Buch voller Geschichten von Begegnungen und Berührungen. Geschichten von Gottesbegegnungen und davon, wie Menschen berührt sind, berührt werden.

Auch die Pfingstgeschichte ist eine solche Geschichte der Berührung. Die versammelten Jünger sind so erfüllt vom Heiligen Geist, dass alle sich verstehen. Und als Jesus ihnen gepredigt hat, heißt es in der Apostelgeschichte: „Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz.“ Ja, man hört nur mit dem Herzen gut, wenn man selbst berührt ist von dem, was man hört.

Liest man die Pfingstgeschichte als Gründungsgeschichte der Kirche, so erweist sich die Kirche als eine Gemeinschaft der Berührten, eine Gemeinschaft der Heiligen, der vom Heiligen Geist Verwandelten. Auch hier gilt, was für die Apostel galt: es braucht Zeit, es braucht Verständnis, bis aus der Ergriffenheit ein gefestigter Glaube wird.

Ganz anders ist es bei der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Hier ist Gott der Berührte, schaut sich an, was die Menschen da auf der Erde anstellen, was sie erreichen wollen in ihrem Namen, in ihrem Stolz. Höher, schneller weiter soll es gehen: ein Turm soll es sein, dessen Spitze bis an den Himmel reicht.

Und plötzlich ist Gott im Spiel. Denn die, die diesen Turm bauen, sind keine Begeisterten von der Sache mit Gott. Im Gegenteil: sie sind von sich selbst begeistert. Kein Turm zur Ehre Gottes, sondern ein Turm, um sich selbst einen Namen zu machen. Der Turm soll das Zeichen ihrer Macht und ihrer Möglichkeiten sein.

293336_web_R_K_B_by_Stephanie Hofschlaeger_pixelio.deDas soll Kirche nicht sein: ein Bau um seiner selbst willen, ein reines Machtgebilde, eine Karriereleiter, ein Monument der eigenen Stärke, eine narzisstische Selbstspiegelung.

Kirche, das ist die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft der Berührten. Solange wir dies immer wieder spüren, solange wir das nicht in Vergessenheit gerät, ist unsere Kirche eine lebendige Kirche.

Als sie aber das hörten, 
ging’s ihnen durchs Herz. 
Apg 2 

Bild oben: pixabay.com
Bild unten: Stephanie Hofschläger/pixelio.de

Meine Predigt zu Pfingsten 2021 in Flözlingen können Sie hier nachlesen.

Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden

Alle verstehen, was gesagt wird, es gibt keine Verständigungsprobleme, es braucht keine Dolmetscher, die hinzugeholt werden müssen.

Dieses pfingstliche Bild von Kirche ist freilich ein Idealbild. Es sagt uns, wie Kirche sein sollte: ein Miteinander, eine verbindende Gemeinschaft, eine Einheit im Glauben. Und es zeigt uns, wie Kirche ausgerichtet ist: eine weltweite Gemeinschaft, grenzüberschreitend.

Freilich will damit nicht gesagt werden, dass Konflikte nicht ausgetragen werden sollen. Nichts ist schlimmer für eine Gemeinschaft als gärende Konflikte, die unter den Teppich gekehrt werden. Solch unausgesprochene Auseinandersetzungen führen über kurz oder lang immer zu einer gestörten Kommunikation.

Momente der gestörten Kommunikation scheinen auch heute vorzuliegen, glaubt den Kritikern der Corona-Regeln. Eine sehr laute, sehr von sich überzeugte und sehr unzufriedene Minderheit klagt darüber, ignoriert, überhört zu werden.

Ist es ein Konflikt in unserer Gesellschaft, der ausgetragen werden muss? Auch wenn es nur das Gefühl ist, dass etwas falsch läuft: Ja, darüber kann man, darüber soll man reden. Allerdings: Man hat oft nicht den Eindruck, dass alle die gleiche Sprache sprechen. Da wird getrickst mit falschen Bildern, um die Anzahl der Demonstrationsteilnehmer künstlich in die Höhe zu treiben, um für sich mehr Relevanz zu beanspruchen, da wird der Gegenseite unterstellt, „alternative Fakten“ zu verschweigen. Da inszeniert man sich als die, die nicht gehört werden.

Was wir zurzeit erleben ist der Versuch, den bestmöglichen Weg zwischen eigenem Freiheitswillen und globaler Verantwortung zu gehen. Das ist nicht einfach, da lässt sich viel diskutieren und da lässt sich viel hinterfragen. Freilich ist auch klar: die „was-wäre-wenn“-Fragen werden sich auch rückblickend nicht beantworten lassen.

Wenn nun aber kein ehrlicher Dialog stattfindet, wenn man ganz andere Ziele hat als die, die man angibt zu haben, kann das Ergebnis nur eine gestörte Kommunikation sein. Ja, auch so etwas muss eine Gesellschaft aushalten können. Ein Ideal aber ist es freilich nicht. Das Ideal ist, dass man sich gegenseitig zuhört, verstehen will, was der andere sagt.

 

Als nun dieses Brausen geschah,
kam die Menge zusammen und wurde bestürzt,
denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 

Apg 2,6

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