Dem Tod die Macht nehmen? Das Leben ans Licht bringen? Was heißt das für unser Leben? Ich will dazu einen kleinen Umweg gehen, über die Geschichte von Kain und Abel:
Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.
Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.
Gen 4,3-10
Langsam wendete Kain sein Gesicht ab. Gott hatte seinen Bruder lieb, nicht ihn. Hatte. Das war jetzt vorbei. Zeiten ändern sich. Alles wird wieder wie früher, wo Gott auch ihm Beachtung schenkte. Die Welt war für Kain aus den Fugen geraten. Jetzt hatte er sie wieder eingerenkt. Gott musste ihn wieder annehmen, so wie er Abel angenommen hatte.
Eine Weile wird er noch warten müssen, bis Gott die Suche aufgegeben hat, die Suche nach diesem Abel, nach seinem Bruder, der ihm so viel Kummer bereitete. Niemals hätte er sich mit seinem Schicksal abfinden können.
Abel, der Sanfte, der Gutmütige: der hätte das gekonnt, und der hätte dabei wahrscheinlich auch noch gelächelt. Aber Kain, der Ackermann, der hart den Spaten in die Erde stieß: er konnte den Spaten nicht weglegen, er musste zuschlagen mit diesem Spaten. Ein Mörder? Vielleicht. Ein Eiferer für Gerechtigkeit? Nicht zu verneinen. Der Liebling Gottes? Immer schon.
Wie sehr der Tod die Macht über uns hat, zeigt die Geschichte von Kain und Abel sinnbildlich. Es geht nicht darum, wie wir sterben, ob wir darauf warten, endlich sterben zu dürfen, oder ob wir nicht sterben wollen. Es geht darum, ob wir in unserem Leben dem Tod bereits Raum gegeben haben. Ob wir also als Lebende letztlich schon tot sind.
In der Bibel, auch in der Geschichte von Kain und Abel, finden wir (zumindest in der Luther-Übersetzung) dafür das Wort Sünde. Gott sieht, wenn wir in Sünde verstrickt sind, und Gottes erster Gedanke ist es nicht, uns zu bestrafen. Nein, wir sind die Lieblinge Gottes, die Kinder Gottes, und wenn wir uns mit tödlichen Mächten einlassen, so leidet Gott darunter. Frei sollen wir den Blick erheben, fromm und frei sein. Wer fromm und frei ist, kann sich nicht niederdrücken lassen, kann nicht von der Sünde beherrscht werden. Wenn die Sünde über uns herrscht, dann hat der Tod die Macht über uns.
Klar gesagt: Damit können nicht moralische Verfehlungen gemeint sein – sie gibt es, aber sie herrschen nicht über uns. Was uns beherrscht ist alles, was uns dauerhaft in Beschlag nimmt und uns den freien Blick versperrt. Wo haben wir das Steuer unseres Lebens abgegeben, wo lassen wir uns wie Kain in die Irre leiten?
Gott selbst ist es, der Kain befreit aus seiner Verstrickung – das Kainsmal ist das Zeichen dafür, dass der Tod nicht die Macht über das Leben des Kain hat. Niemand darf Kain, den Mörder töten, das Mal auf seiner Stirn schützt ihn. Kain ist ein Mörder, ja, aber ein Totgeborener, das soll er nicht sein, ist Gottes Wille.
Wo hat der Tod Macht in unserem Leben? Wo müssten wir – endlich einmal! – Stricke durchtrennen und uns aus unseren Verstrickungen befreien? „Dem Tod das letzte Wort absprechen, das ist Leben. Das ist der Sinn deines Lebens“ – so hat es Huub Oosterhuis in seinem Glaubensbuch „Alles für alle“ (erschienen 2018 bei Patmos) formuliert. Manchmal braucht es da Gottes Hilfe, um wieder fromm und frei zu sein.
Er, Jesus Christus, hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.
2. Tim 1,10