Was für ein Text. Was für eine Botschaft.
Da wird ein Mann namens Jesaja zum Propheten berufen und die erste Botschaft Gottes, die er an das Volk richten soll, ist sogleich eine Hiobsbotschaft: Herz, Augen, Ohren sollen verschlossen sein, eine Bekehrung ist nicht erwünscht. Eine Trias der Arroganz Gottes.
Was ist das für ein Gott, der Herzen verstockt, die Menschen blockiert, den Weg der Reue abschneidet?
Man könnte diesen Text als nachträgliche religiöse Begründung eines geschichtlichen Ereignisses verstehen. Israel ist untergegangen – mit Gottes Zustimmung, Gott wollte es so, deshalb ist es geschehen. Ein Erklärungsversuch für das, was geschehen ist. Aber auch hier bleibt die Frage, was für ein Gottesbild dies sein soll.
Nun, es spricht hier ein Gott, der sein Urteil gefällt hat. Die Welt ist im Argen, das Gerichtsurteil bereits gesprochen. Die Berufung des Jesaja steht nicht am Anfang des Jesaja-Buchs, sie ist vielmehr Teil eines Argumentationszusammenhangs. Das ist wichtig, um den sarkastischen Ton dieser Verse zu verstehen. Es geht nicht darum, Herz und Auge und Ohr zu verschließen, um Reue unmöglich zu machen. Die Reue hätte längst erfolgen müssen.
Das Buch Jona zeigt aber, dass man Gott in seinem Urteil auch umstimmen kann – es gibt keinen Grund zu glauben, dass dies zur Zeit von Jesaja nicht möglich gewesen sei.
Wenn Jesus sich auf Jesaja bezieht, dann setzt er beim Reden in Gleichnissen an. Er spricht vom verstockten Herz (Mt 13) der Menschen, aber er hört nicht auf zu predigen. Verstockte Herzen sind kein Grund, das Predigen einzustellen. Sie machen es nicht überflüssig.
„Herr, wie lange?“, fragt Jesaja Gott. Auf die Idee einer dauerhaften Verstockung der Menschen kommt der Prophet gar nicht. Wie gut.
Und er sprach:
Geh hin und sprich zu diesem Volk:
Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!
Verfette das Herz dieses Volks
und ihre Ohren verschließe
und ihre Augen verklebe,
dass sie nicht sehen mit ihren Augen
noch hören mit ihren Ohren
noch verstehen mit ihrem Herzen
und sich nicht bekehren und genesen.
Ich aber sprach: Herr, wie lange?
Jes 6, 10f.